
Zur Entstehung der Shantychöre
Der erste Chor, der in Deutschland Shanties gesungen hat, ist der "Kiel-Holtenauer Lotsengesangverein Knurrhahn", der im Winter 1928/29 als Männergesangverein gegründet wurde. Die "Knurrhähne" sangen zunächst das übliche Repertoire von Männer-Gesangvereinen, wie z.B. "Warum ist es am Rhein so schön".
Beim gemütlichen Zusammensein nach den Chorproben wurde gelegentlich von den Lotsen, die ja alle ihre Ausbildungszeit noch auf Segelschiffen absolviert hatten, ein Shanty angestimmt. Diese sammelte der "Oberknurrhahn" R. Baltzer. Die Melodien notierte der zweite Chorleiter, der Marinemusiker Klaus Pigge. So entstand die 1932 veröffentlichte Shanty-Sammlung "Knurrhahn 1", der 1935/36 Band 2 folgte. Diese Sammlung, sowie öffentliche Shanty-Auftritte und Radioübertragungen der "Knurrhähne" in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg, machten Shanties erstmalig einem breiteren deutschen Publikum bekannt. Aber trotz der Erfolge war das öffentliche Shantysingen bei den "Knurrhähnen" immer eine Ausnahme. Hauptsächlich sangen sie andere Lieder. Erst 1968, unter der Leitung von K.A. Gadow, wurden Shanties zum Schwerpunkt ihres Programms bzw. Repertoires.
Der Beginn der Shantychor-Entwicklung fand ausschließlich im Umfeld der Marine, in den Marine-Vereinen und Marinekameradschaften (MK) statt. Die ersten 12 Chöre sind alle in MK entstanden.
Die erste Gründung eines Shantychors außerhalb einer MK fand in Ebingen statt. Dort setzten sich 1956 ehemalige Weltkrieg 2 - Matrosen im Rahmen ihrer MK zusammen und beschlossen, Seemannslieder zu singen, so wie sie es früher in ihrer Freizeit an Bord getan hatten. Da sie einige ihrer Lieder aus dem "Knurrhahn" bezogen, nannten sie sich zunächst "Knurrhahn Ebingen" und traten auch unter diesem Namen auf.
Vergleichbares geschah 1957 in Hockenheim. Dort wurde eine "Sing- und Spielgruppe" ins Leben gerufen, die sich seit 1968 "Seemannschor" nennt. In der MK Tsingtau Esslingen wurde am 26.2.1960 ein Chor gegründet, der sich gleich von Anfang an Shantychor nannte. Auch in der MK Schwenningen, die sich später mit Villingen zusammentat, wurde noch im gleichen Jahr ein Chor gegründet, der sich ebenfalls den Namen "Shantychor" gab. Ab 1961 nannten sich auch die Ebinger so.
Dies sind die ersten bekanntgewordenen Chöre, die den Namen "Shantychor" führten. Der Name ist wohl eher zufällig gewählt, vielleicht weil er kürzer und einprägsamer ist, als es z.B. "Seemannslieder-Chor" gewesen wäre.
Unterstützung fand die Entwicklung von SC durch die Chöre der Marineschulen. 1960/61 gründeten sich an der Technischen Marineschule 2 die "Blauen Jungs aus Bremerhaven" unter der Regie von OBtsm. Günter Faber, die mit großem Erfolg vor allem bei Veranstaltungen von Marinekameradschaften und Soldatenverbänden auftraten und sich dort als Vorbilder für Chorgründungen erwiesen. (So entstanden z.B. 1962 "Die blauen Jungs Bamberg").
Auch an anderen Marineschulen entstanden Chöre, die in Bezug auf Repertoire, Auftrittsorte und Wirkung vergleichbar waren (z.B. der "Listener Marinechor").
Es dauerte einige Jahre, bis der Begriff "SC" außerhalb der MK Fuß fasste. Zwischen 1968 und 1971 entstanden die ersten SC, die nicht dem Marine-Umfeld angehörten. Bis auf eine Ausnahme kommen diese Chöre alle unmittelbar von der Küste (Aurich, Bremerhaven, Carolinensiel, Cuxhaven, Emden, Horumersiel und Wangerooge). Vermutlich wegen ihrer traditionellen Verbindung zur Seefahrt haben sie eine klare Vorstellung von Shanties. Können die im Zeitraum von 1956-1966 gegründeten Chöre nur mit einem Durchschnitt von 5 Shanties pro Chor aufwarten, sind es bei den 1968-1971 gegründeten Chöre bereits 36 Shanties.
Ein Gründungsboom läßt sich für die Zeit von 1974-1981 (43 Chöre) und von 1981-1990 (23 Chöre) feststellen. Die Zahl der zur Zeit in Deutschland bestehenden Shantychöre liegt bei weit über 200.
Shanties (Chanties, Chanteys - alle drei Schreibweisen existieren) sind Lieder, die von Seeleuten bei den auf Segelschiffen anfallenden seemännischen Arbeiten gesungen wurden, also Arbeitslieder. In der Regel ist das Shanty ein Wechselgesang zwischen einem Vorsänger, dem Shantyman und den mit einer gemeinsamen Arbeit betrauten Seeleuten. Die meisten Shanties in der internationalen Seefahrt waren englischsprachig. Auf Schiffen mit deutscher Besatzung wurden auch deutsche Lieder (in einer der Arbeit angepassten Form) als Shanties, also als Arbeitslieder, gesungen.
Die "Blütezeit" der Shanties waren die Jahre 1820-1850, als wegen der enormen Entwicklung des internationalen Handels (industrielle Revolution und Friedensschluss von 1815 zwischen England, USA und Frankreich) immer schnellere Schiffe gebaut wurden, deren Bedienung großen Krafteinsatz der ganzen Mannschaft erforderte. Um einen gleichmäßigen Arbeitsrhythmus zu gewährleisten, wurde gesungen (Pull-, Haul- oder Drag-Shanties und Spill- bzw. Pump-Shanties). Daneben existierten die "Forebitter" ("Forebitter" wurden die großen Poller auf dem Vorschiff genannt), die Freizeitlieder der Seeleute. Shanties und Forebitter sind die einzigen authentischen Seemannslieder, die von Seeleuten selbst gesungen wurden.
Shantychor Homberg-Borken